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Montag – Fazit nach 2 1/2 Monaten Lehrzeit – Hebräisch denken

Zweieinhalb Monate Lehrzeit sind für die Bilanzierung meiner „Lehre“ zu kurz. Trotzdem möchte ich am Ende der ersten Israelperiode ein Fazit wagen. Die Frage stellt sich, wie weit ich meiner Verheißung von August 1980 gerecht geworden bin, d.h. ob ich an der Hand des Himmlischen Vaters weiter gekommen oder stehen geblieben bin. Zwei Ereignisse sind für mich besonders wichtig geworden:

 

1.
Der Umweg über den Kibbuz Jawne in den Weinberg Abrahams (die Gegend wo die Altersresidenz steht, in der Nähe von Mea Shearim, heißt so). Mich hat der Weinberg Abrahams an meinen Traum „lech-lecha“ (Tagebuch) erinnert. Ich verstehe mich zunehmend als Hebräer (Ivri, Hinübergeher). Avram (Abram, Abraham) war der erste Ivri. Ein Aufsatz von Erich Lubahn (Gott denkt anders*) hat mich sehr angesprochen.

Er stellt darin hebräisches und griechisches Denken einander gegenüber. Stichwortartig beschränke ich mich nachfolgend auf das was nach Lubahn das hebräische Denken ausmacht:
– Gott handelt in der Geschichte durch Taten.
– Gottes Handeln in der Geschichte ist situations- und zeitbezogen.
– Vertrauensverhältnis zum Gott der Bibel heißt: „dennoch glauben“.
– Hebräer sind an Gottes Handeln in Geschichte und Offenbarung interessiert
a) in geschichtlichen Ereignissen
b) in den dazu gehörenden Offenbarungen.
– Gott hat sich der hebräischen Sprache bedient.
– Der Umgang des Hebräers mit seinem Gott hat die Struktur des Dialogs.
– Zum Dialog gehört die Konsequenz des Gehorsams und des Glaubens.
– Die Gottesbeziehung des Hebräers umfasst Himmel und Erde.
– Beim Sprechen Gottes verbinden sich Himmel und Erde.
– Das hebräische Gottesverständnis lässt sich in kein menschliches Schema
fassen.
– Gott ist unendlich größer und anders, als dass wir ihn in einem menschlichen
Dogma festmachen könnten.
– Das hebräische Denken sieht alles vom Ziel her (von oben nach unten).
– Der Hebräer lebt mit Gott.
– Für den Hebräer ist es vornehmlich eine Sache des Tuns.
– Das hebräische Interesse an der Wahrheit ist praktisch und lebensbezogen.
– Offenbarung zielt auf Gehorsam ab.
– Erkenntnis und Lehre sind Mittel zum Zweck.
– Den Hebräer interessiert die Beziehung Gottes zum Menschen.
– Hebräische Denken ohne Glauben ist eine Unmöglichkeit.
– An Gott glauben heißt Verbindung mit dem höchsten Bereich haben.
– Himmel und Erde sind eine Schöpfung.
– Himmel und Erde zusammen ist das Werk, das ER gemacht hat.
– Himmel und Erde sind durch eine vertikale Linie verbunden.
– Der Mensch ist Bürger beider Welten.
– Alles Gute und Vollkommene kommt von Gott.
– Lernen ist etwas Typisches in der hebräischen Tradition; Schritt um Schritt die Andersartigkeit Gottes zu verstehen.

 

2.
Der Traum von der zusammenkrachenden Sitzbank in der Seilbahnkabine hat mich weitergebracht. Es ist für mich wichtig zu wissen, dass Tagträume schädlich sind. Tagträume heben von der Wirklichkeit ab (sprich: sind unhebräisch). In diesem Zusammenhang ist mir ein Gespräch vom letzten Sommer mit Prof. Dr. med. Daniel Hell, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich in den Sinn gekommen. Ich erzählte ihm von meiner Berufung an den Juden und der damit verbundenen psychischen Herausforderung für mich. Er empfahl mir vor allem darauf zu achten, „geerdet“ (sprich: hebräisch) zu bleiben. Ich habe nun verstanden was das konkret für mich bedeutet.

 

Dass ich eine „Lehre“ auf der jüdischen Seite machen kann, macht mich dankbar. Ich bin überhaupt dankbar für die ersten Monate hier in Jerusalem. Ich erlebe es als Gottes Führung, dass ich mich in der Altersresidenz, in jüdisch-orthodoxem Umfeld, angenommen und recht wohl fühle. Einzig die mangelnde sprachliche Hebräisch-Praxis kränkt mich.

 

* Erich Lubahn, Otto Rodenberg: Von Gott erkannt, Gotteserkenntnis im hebräischen und griechischen Denken; Christliches Verlagshaus Stuttgart, 1990.

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